
III. Abweichungen der christlichen Religionen
vom Judentum in den Erscheinungsformen.
Die Stellung des Einzelnen zur Glaubenslehre:
Christliche Bindung durch Dogmen
Von Seligmann Pick
Aus dem fünften Teil "Juden und Umwelt" der "Lehren
des Judentums nach den Quellen" (III.Bd der 1999 ersch.
Faksimile-Edition der Ausgabe des Verbandes der Deutschen Juden v.
1928/30)
Gegen Schluß des Markusevangeliums, 16.16, heißt es: "Wer
zum Glauben [an Jesus] kam und getauft wurde, wird gerettet werden. Wer aber
nicht zum Glauben [an Jesus] kam, wird verdammt werden."
Nun gilt zwar Markus 16.9ff der kritischen Wissenschaft als unecht. Aber der
Einschub ist doch in früher Zeit erfolgt (etwa im 2.Jahrh.). Hier liegen — wie
ähnlich in Johannes 3.18 Anfänge einer Bindung durch ein "Dogma".
Es lassen sich noch andere aufweisen. Bezeichnend ist Römer
11. Paulus war nach Abkunft und Erziehung Jude. In Kap.11 rühmt er sich,
"Israelit" zu sein, "aus dem Samen Abrahams, aus dem Stamme Benjamin" (11).
Gleich im Anfang des Kapitels lesen wir: "Ich sage nun: Hat G'tt sein Volk
verstoßen?". Paulus antwortet mit dem bei ihm beliebten "bewahre!" (wörtlich:
"es möge nicht geschehen!"). Er preist Israels Vorzugsstellung, um ihm von da
aus gerade das "Dogma" vom "G'ttessohn" zu empfehlen. Er wählt das Bild vom
Ölbaum. Israel, so predigt er, müsse sich an das "Dogma" vom "G'ttessohn"
binden, wenn es nicht "ausgeschnitten" werden will (11.22).
Matthäus 8.12 gibt "die Söhne des Reichs", die einst zum
G'ttesreich auserwählten Juden, der "Finsternis" preis, weil sie nicht
christi-gläubig sind.
Charakteristisch ist auch der Jakobusbrief. Der Gegensatz
"Hörer" — "Täter" begegnet außer im Jakobusbrief nur einmal innerhalb des Neuen
Testaments: Römer 2.13. Hier werden diejenigen, die die Forderungen des
(alttestamentlichen) Gesetzes nur vernommen haben, denen gegenübergestellt, die
die Forderungen des Gesetzes erfüllt haben, d.h. so müsste es sein, wenn nicht
der "Glaube", nämlich der Christusglaube' das Heilbringende wäre. Der
Jakobusbrief aber polemisiert gegen diese Anschauung. Ihm sind die "Hörer" und
die "Täter" (des Gesetzes) wirkliche Gegensätze: "Glaube" ohne "Werke" gilt als
"tot".
Und doch wird selbst bei Jakobus der 'Christusglaube' betont:
2.1 hebt der Jakobusbrief "den Glauben an unsern Herrn der Herrlichkeit, Jesus
Christus" hervor. Doch sind die Worte "Jesus
Im Laufe der Zeit wird daraus nun eine eigentliche Bindung
durch Dogmen. Wie stark sie gefühlt wurde, dafür ist Origenes (3.Jahrh.) ein
Beispiel. Auch von der römischen Kirche wird er als einer der größten
christlichen Theologen gefeiert; auf ihn stützt sich Athanasius, der in der
abendländischen, wie in der morgenländischen Kirche hochverehrte
"Kirchenlehrer". Als christlicher Märtyrer ist er gestorben. Dennoch hat ihn die
römische Kirche — wie seinen Lehrer Clemens von Alexandrien und wie Tertullian —
nicht den "Kirchenvätern", sondern nur den "Kirchenschriftstellern" eingereiht,
weil sich seine dogmatischen Anschauungen den kirchlichen nicht immer
anschließen.
Je genauer die kirchliche Meinung durch Konzilienbeschlüsse
usw.. festgelegt wird, desto heftiger gestalten sich die Kämpfe um das Dogma:
Der Kampf gegen Richtungen, die Dogmen der Kirche ablehnen,
geht durch die Jahrhunderte bis in die Gegenwart: erinnert sei an das Vorgehen
der Kirche gegen die Albigenser (12.—13. Jahrh.), Wiclef (14. Jahrh.), Huß
(14.—iS. Jahrh.), Bajus (16. Jahrh.), die Reformatoren (16. Jahrh.), die
Jansenisten (17.—18. Jahrh.), die Modernisten (19.—20. Jahrh.).
1864 veröffentlichte Papst Pius IX. den "syllabus errorum"
("Zusammenstellung der Irrtümer"), der das mit der katholischen Kirche nicht
Übereinstimmende verurteilt. 1907 erschien der "syllabus" des Papstes Pius X.
Hierher gehört auch der "Index librorum prohibitorum" (die "Liste der verbotenen
Bücher"). Er geht auf das Tridentinische Konzil zurück, das "betreffs der
verbotenen Bücher" ("de libris prohibitis") 10 "Regeln" aufstellte. Noch jetzt
bedarf jedes neu erscheinende religiöse Buch, das einen römisch-katholischen
Verfasser hat,
Die griechisch-katholische Kirche lehrt gleichfalls, dass man,
"um einst Erbe des ewigen Lebens zu werden", zunächst den "rechten Glauben"
haben müsse.
Die Reformation hat nicht minder die christlichen Dogmen für
bindend erklärt: die lutherische Kirche stellt an die Spitze ihrer "symbolischen
Bücher" (der Schriften ihres Glaubensbekenntnisses) das so genannte
Nicaeno-Konstantinopolitanische und das sogenannte Athana sianische Bekenntnis
(das "Athanasianum"). Den Schlußsatz des "Athanasianum" übersetzt sie: "Das
(nämlich der Glaube an die Dreieinigkeit usw.) ist der rechte christliche
Glaube; wer denselben nicht fest und treulich glaubt, der kann nicht selig
werden." Ferner: im ersten und im zweiten Teile der "Konkordienformel" verdammt
die lutherische Kirche dogmatische "Irrtümer" (errores) als — wie es im zweiten
Teile heißt — "falsch, G'ttlos, ketzerisch" (falsos, impios, haereticos). Diese
"symbolischen Bücher" sind noch jetzt offiziell in Geltung.
Calvin ließ Michael Servet, der die Trinität leugnete,
verbrennen.
Bis in unsere Zeit hinein gelten die Bekenntnisschriften der reformierten
Kirchen, die ebenfalls die Verbindlichkeit der Dogmen offiziell vertreten.
Das Judentum dagegen hat Dogmen oder Bekenntnisachriften nie
besessen; es gibt keine jüdische Dogmengeschichte. Die Auffassung Moses
Mendelssohns vom Judentum mag falsch sein, die Tatsache, von der er ausging,
bleibt im wesentlichen richtig: "Die Israeliten haben göttliche Gesetzgebung,
Gesetze, Gebote, Befehle, Lebensregeln, Unterricht vom Willen G'ttes, aber keine
Lehrmeinungen, keine Heilswahrheiten..."
Seligmann Pick.
Erschienen im fünften Teil "Juden und Umwelt" der "Lehren
des Judentums nach den Quellen" (s. III.Bd der 1999 ersch.
Faksimile-Edition der Ausgabe des Verbandes der Deutschen Juden v.
1928/30)
V.Teil: Juden und Umwelt
I. - Abwehr fremder Anschauungen
...
3. Die Auseinandersetzung mit dem entstehenden
Christentum.
4. Die Pharisäer
...
...
III. - Abweichung der christlichen Religion vom Judentum in den
Erscheinungsformen
1. Stellung des Einzelnen zur Glaubenslehre
a) Jüd. Anerkennung individueller
Glaubensauffassung
b) Christliche Bindung durch Dogmen
FORUM / LESERBRIEFE:
 Die
Offensive der Missionare
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