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Zum Beispiel Schabbat und Jom Kippur:
Wenn Christen "biblische Feste" feiern

Die GGE (Geistliche Gemeindeerneuerung in der Evangelischen Kirche) hat ein Themenheft "Christen feiern biblische Feste - Schabbat, Passa, Jom Kippur, Laubhüttenfest" herausgebracht.
Bei der GGE handelt es sich um eine innerkirchliche Gruppierung, die in allen evangelischen Landeskirchen - meist als Verein organisiert - aktiv ist, sozusagen der charismatische Flügel der evangelischen Landeskirchen. Verfasser des Heftes sind ein "messianischer" Jude sowie ein evangelischer Pfarrer im Ruhestand und dessen Frau. In einem speziellen "Festkalender für Kinder" äußert sich eine Musikpädagogin.

Eingeleitet wird das Heft mit einem Interview mit dem messianischen Juden. Die Antwort auf die Frage, worauf die messianischen Gemeinden beim Feiern "alttestamentlicher Feste" besonders achten, macht deutlich, daß es sich dabei um eine genuin christliche - und nicht wie vorgegeben wird jüdische - Angelegenheit handelt: "... bei allen Festen soll Jeshua, der gekreuzigte, der auferstandene und der wiederkommende Herr in der Mitte sein". Formen und Traditionen des rabbinischen Judentums werden als "Irrweg" bezeichnet. Sie beinhalten die Gefahr , "den einzigen Rettungsweg durch Jesus" zu vergessen.

ALTER ANTIJUDAISMUS IN NEUEM GEWAND

Wie nun beziehen sich die Verfasser auf Judentum und jüdische Traditionen?
Das
rabbinische Judentum, das die heutige Festgestalt der jüdischen Feiertage wesentlich geprägt hat, kommt nicht in Frage, denn sowohl "messianische Juden" als auch evangelikale und charismatische Christen polemisieren heftig dagegen. Für sie sind rabbinische Traditionen etwas, in dem man sich "nicht verfangen" darf. Die Wortwahl ist verräterisch: Rabbinisches Judentum, das für heutiges Judentum konstituierend ist, wird als Falle gedeutet.

"Der Neue Bund ist viel besser als der Alte Bund, denn er bietet wahre Vergebung und Reinigung von Sünde ... Die Frage der Sünde wurde auf Golgatha endgültig geregelt. Der Messias erwirkte Sühnung ..." (Seite 11).

Hier ist das Judentum - wie schon jahrhundertelang - die dunkle Folie, von der sich das Christentum strahlend abhebt. Neu ist dabei, daß diese "Ersatztheologie", von der sich die Verfasser zwei Seiten vorher explizit distanziert haben, nun nicht mehr - wie in der Geschichte der Kirche üblich durch neutestamentliche Aussagen und deren Auslegungen - zementiert werden, sondern durch den Rückgriff auf "biblische Feste", wobei der Ausdruck "jüdische Feste" im ganzen Heft vermieden wird. Feste, die von Juden seit tausenden von Jahren begangen werden - natürlich in sich wandelnden Gestaltungsformen - und für die Christen sich in ihrer Gesamtheit nie groß interessiert haben, werden hier zum Mittel antijudaistischer Polemik umfunktioniert:

METHODE:

Den Verfassern kommt hier Folgendes entgegen:

"Das aus dem Judentum hervorgegangene Christentum hat so viel vom Judentum übernommen und mit einer abweichenden Bedeutung belegt, dass viel Jüdisches jedem in der christlichen Welt aufgewachsenen noch so unvoreingenommenen Menschen von vornherein sonderbar "bekannt" vorkommt. Pessach ist eben das jüdische Osterfest, der Schabbat ist der jüdische Sonntag, ein Rabbiner ist eine Art jüdischer Pfarrer, und die jüdische Kirche heißt Synagoge. Dieses Pseudo-Vorwissen erschwert das Verständnis des Judentums ganz beträchtlich"
(Meir Seidler in seinem Beitrag bei haGalil über: "
warum wird das Judentum so oft mißverstanden").

Es geht bei dem ganzen Unternehmen nicht um ein tieferes Verstehen des Judentums, sondern darum, bestimmte Versatzstücke, Halbwissen und gängige Klischees zu verschmelzen mit Hilfe eines Rückgriffs auf das, was die Verfasser als "biblisches Judentum" bezeichnen und aus einem wörtlichen Bibelverständnis ableiten.
Was dabei herauskommt, ist großenteils ahistorisch. Die Begründungszusammenhänge sind teilweise abenteuerlich, wenn es etwa heißt: "Die Rabbiner sahen sich vor der Aufgabe, die Feste neu zu definieren und neue Formen dafür auszudenken, da sie das letzte und einmalige Opferlamm, Jesus (Joh 1,29), nicht anerkannten" (S.10).

SCHABBAT BEI CHRISTEN

Daß der christliche Sonntag seine Wurzeln im Schabbat hat, ist eine Binsenweisheit. Es ist nichts dagegen einzuwenden, daß der Schabbat und seine Gestaltung auch einzelne Christen oder christliche Gruppen dazu angeregt hat, über die Art und Weise, wie sie den Sonntag begehen, nachzudenken und daraus neue Formen zu entwickeln. So praktizieren einige evangelische Gemeinschaften eine "Sonntagsbegrüßung". Gemeint ist damit eine Liturgie am Samstagabend, in der die zurückliegende Woche bewußt abgeschlossen wird und der Beginn des Sonntags eingeleitet und gefeiert wird.

Davon unterscheidet sich jedoch die Herangehensweise der Autoren von "Christen feiern biblische Feste" grundlegend. Über den "Schabbat bei den Juden heute" heißt es:

"Er bedeutet ihnen sehr viel. Die meisten Juden in Israel feiern den Schabbat. 80% nehmen sich dafür weniger als eine Minute Zeit, die 20% streng religiösen Juden dagegen bis zu 2 Stunden" (Seite 13)

Offen bleibt, was nun in dieser Schabbat-Variante, die weniger als eine Minute dauert, passiert und worin diese bestehen soll. Die "streng religiösen Juden" wären sicher nicht glücklich damit, wenn ihnen unterstellt wird, das Halten des Schabbat, der 25 Stunden dauert, beschränke sich bei ihnen auf 2 Stunden. Vielmehr zeigen derartige Aussagen jedoch, wie wenig vom Schabbat und seiner Bedeutung verstanden wurde und wieviel von christlichen Vorstellungen an ihn herangetragen wird.

Auch das Jesus-Zitat: "Der Schabbat ist um des Menschen willen geschaffen und nicht der Mensch um des Schabbat willen" wird in der üblichen antijudaistischen Polemik benutzt: "Jesus ehrt seinen Vater auch am Schabbat - ohne sich an gesetzliche Vorschriften zu halten, die den Schabbat verselbständigt haben" (Seite 14). Den Verfassern scheint nicht bekannt zu sein, daß Jesus hier einen Vers aus der rabbinischen Tradition zitiert.

Einerseits lehnen die Verfasser alles rigide ab, was mit rabbinischem Judentum zu tun hat, andererseits kommen sie aber nicht davon los: So werden beispielsweise 2 Schabbatkerzen angezündet und mit einer neuen Deutung belegt, nämlich Symbole für den "alten" und den "neuen" Bund zu sein.

Abschließend heißt es: "Wir leben in einem anderen Kulturkreis und können den Samstag nicht einfach zum Ruhetag machen ... aber wir können den Schabbat mit den Juden am Freitag beginnen und den Ruhetag zu G-ttes Ehre am Sonntag halten".

Man fragt sich dann, was das Ganze eigentlich soll. In diesen Gedankenfragmenten sind dermaßen viele Brüche, Inkonsistenzen und Widersprüche, daß letztlich nicht klar wird, was die Verfasser bezwecken: Da wird lange begründet, daß der Schabbat ein Geschenk als Ruhetag ist, um dann zu dem Schluß zu kommen, man könne ihn in unserem Kulturkreis nicht einfach zum Ruhetag machen. Offensichtlich kann man es schon, denn sonst gäbe es in unserem Kulturkreis keine Juden. Und wozu will man Schabbat feiern, wenn man sich vom wesentlichen Inhalt der Ruhe dann doch distanziert.

Oder geht es hier um die religiöse Variante der Befriedigung folkloristischer Bedürfnisse? Dieser Eindruck wird noch bestärkt, wenn an anderer Stelle (S 61) die Hawdala-Zeremonie zum Schabbatausgang auf eine "hübsche Sitte" reduziert wird.

CHRISTEN FEIERN JOM KIPPUR - DEN GROSSEN VERSÖHNUNGSTAG

ist ein weiteres Kapitel überschrieben. Auch hier wird die "Einheit mit den messianischen Juden", die durch das Feiern biblischer Feste bestärkt wird, betont.

Daß die Verfasser den jüdischen Kalender nicht kennen, wird daran deutlich, daß behauptet wird, der Monat Tischri sei der erste. Für das Fasten an Jom Kippur wird eine christliche Begründung geliefert, wie sie sich in ähnlichen Variationen vielfach bei den Kirchenvätern findet: "Fasten soll dazu dienen, die begehrlichen Triebe niederzuringen. Sie erzeugen die Sünde" (S. 22).

Warum aber wollen Christen - einer bestimmten Prägung - Jom Kippur begehen, wenn doch für sie Jesus von zentraler Bedeutung ist und nach ihrem Verständnis Sühne ihrer Sünden erwirkt hat? "Einen besonderen Tag zu haben, an dem es um eine jährliche Inventur geht, kann eine zusätzliche Hilfe sein" (S.31). Aber warum an Jom Kippur? Da für Christen der Tod von Jesus eine zentrale Rolle spielt, wäre es doch logischer eine solche Inventur beispielsweise am Todestag von Jesus (Karfreitag) anzuberaumen?

Eine neue Deutung im Hinblick auf die jüngere deutsche Geschichte wird folgendermaßen formuliert:

"Der große Versöhnungstag ist auch ein Tag, um noch tiefer zu erkennen, was wir als Deutsche und als Christen Juden angetan haben, und um Vergebung zu bitten" (S. 35)

Jom Kippur als christlicher Holocaust-Gedenktag? Gibt es nicht reichlich andere Tage, an denen dies thematisiert werden kann (9. November, 27. Januar etc.). Müssen sich Christen dafür des höchsten jüdischen Feiertages bemächtigen? Abgesehen davon kann nach jüdischem Verständnis nur derjenige Vergebung gewähren, dem etwas angetan worden ist.

Weiter wird darauf verwiesen, daß dieser Tag ein Tag der "Fürbitte für Israel" sein soll, daß Juden Jesus als ihren Messias erkennen und annehmen ..." (S. 35).
Der anschließende Liturgievorschlag enthält als Kernstück das in der Synagoge gemeinsam gesprochene Bekenntnis der Sünden (vidui), dem immer wieder der Satz "das Blut Jesu Christi, des Sohnes Gottes, macht uns rein von aller Sünde" zwischengeschaltet wird.

Warum lehnen sich Christen an jüdische Formen an, wenn sie den dahinterstehenden Inhalt ablehnen und durch einen neuen ersetzen, mit dem kein Jude konform gehen würde?

Einen erkennbaren Sinn erhalten diese von evangelikalen bzw. charismatischen Christen begangenen "biblischen Feiertage" dann, wenn man sich deutlich macht, daß diese Gruppen aktiv Judenmission betreiben und in den letzten Jahren zunehmen auch in die Öffentlichkeit gingen mit christlichen Sederfeiern oder Laubhüttenfesten. Die Zielrichtung dabei sind vor allem russische Juden, die meist mit jüdisch religiösen Traditionen wenig oder gar nicht vertraut sind. Sie finden in den Zeremonien Symbole vor, die ihnen den Eindruck vermitteln, daß hier etwas Jüdisches passiert. Dem Heft sind außerdem einige Berichte von russischen Juden beigegeben, die sich "zum Messias Jesus" bekehrt haben. Diese Berichte sollen an Jom Kippur oder zum Laubhüttenfest vorgelesen werden.

 
Christliches Laubhüttenfest 2003
Veranstalter: Jerusalemgemeinde Berlin und Brücke Berlin Jerusalem e.V.

Den seriösen Bemühungen um einen ernsthaften christlich-jüdischen Dialog jedenfalls werden derartige Aktivitäten auf Dauer einen Schaden zufügen, der in seiner Tragweite nicht abzusehen ist.
Man darf gespannt sein, wie sich die offiziellen Landeskirchen, die sich wiederholt gegen Judenmission geäußert haben, zu dieser Art von Publikationen äußern.

Vielleicht hat doch der Buchhändler in meiner Nachbarschaft recht. Als ich ihm von diesen Aktivitäten erzählte, schilderte er mir, daß in seiner Studentenzeit alles "in" gewesen sei, was mit Indianern zu tun gehabt hätte. Er schloß mit den Worten: "Erst hat man die Indianer umgebracht. Dann hat man sich ihrer Kultur bemächtigt, sie vermarktet und in unseren Wirtschaftskreislauf eingebaut. Danach hat man sich ihre Spiritualität angeeignet und sie nach eigenen Bedürfnissen umfunktioniert. Und jetzt läuft es mit den Juden anscheinend nach dem gleichen Muster".

MiJu

Glossar zu jüdischen Begriffen
"messianisches Judentum"- Gift im Schokoladenbonbon
Juden und Judentum
- gegen Judenmission

FORUM / LESERBRIEFE:
Die Offensive der Missionare

hagalil.com / 10-2002

 


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