Brennende Bücher und blutende Hostien:
Der Prozess gegen den Talmud
Um die Juden im Bereich des Denkens zu schlagen
und die als Konkurrenz empfundene Lehre des Judentums zu
diskreditieren, versuchte man die geistigen Grundlagen der Lehre zu
erniedrigen oder zu zerstören. Im 13.Jh. begann die Kirche einen
Prozess gegen den Talmud.
Von Josef Kastein, eine Geschichte der Juden
pp. 372, VIERTES KAPITEL, MARTYRIUM UND MYSTIK
(Teil 1)
Der Dominikaner Nikolaus Donin, ein getaufter
Jude, denunziert bei Gregor IX. den Talmud wegen Verleumdung Jesu
und der Christen und wegen seiner unsittlichen Lehren. Der Papst
gibt den Bischöfen in Frankreich, England und Spanien Anweisung, bei
den Juden alle erreichbaren Talmudexemplare zu beschlagnahmen und
ein Gericht zu konstituieren. Dieses Gericht tagt unter Teilnahme
der Dominikaner und im Beisein vieler Würdenträger am 12. Juni 1240
in Paris. Die Anklage umfasst 35 Punkte, sämtlich aus dem
hagadischen Teil des Talmud, also aus jenem Gebiet, in dem
Jahrhunderte eines Volkslebens mit allen guten und bösen Reaktionen
ihren Niederschlag gefunden haben.
Bücherverbrennung
Die jüdischen Gelehrten, die die Anklage widerlegen sollen, sind in
einer schwierigen Lage. Für sie ist alles heilig, was im Talmud
steht, auch die Legende, selbst die Anekdote. Das verhilft den
Mönchen zu einem Triumph. Sie stellen fest, dass die Rabbiner selbst
viele anstößige Stellen zugeben (obgleich sie selbstverständlich
niemals die Anstößigkeit irgendeiner Stelle zugegeben haben werden),
und verurteilen das Buch zum Feuertode. Das Urteil wird 1242
vollstreckt. 24 "Wagenladungen voll Talmudexemplaren werden
öffentlich in Paris verbrannt. Zwei Jahre später wird derselbe
Prozess für die Provinz veranstaltet. 1248 und 1250 wird die Komödie
erneuert. Sie stellt sich im übrigen auch als lukrativ heraus, weil
die Verbrennung sehr oft durch Geld abgewendet werden kann. Immerhin
war damit erreicht, dass das Studium des Talmud für längere Zeit
mangels Lehrmaterial behindert wurde; und das war ja der in
Wirklichkeit erstrebte Erfolg.
Disputation um die Göttlichkeit Jesus
Dennoch wird auf die Disputation nicht verzichtet. Wieder geht sie
von Dominikanern aus, und wieder schicken sie einen getauften Juden
vor, Paulus Christiani, genannt Fra Pablo. Er wirkt in Aragonien,
dem Dorado der dominikanischen Inquisition. Im Juli 1263 wird unter
Teilnahme des Königs vier Tage lang in Barcelona disputiert. Fra
Pablo hat sich einen Gegner ausgesucht, dessen Name in der jüdischen
Welt erhebliche Geltung besaß: Rabbi Moses ben Nachmann (abgekürzt:
RaMBaN) aus Gerona.
Pablo stellt vier Thesen auf über die Messianität; und wieder will
er beweisen, dass der Messias der Juden längst erschienen sei. Mit
Recht kann Ramban das bestreiten und darauf hinweisen, dass nichts
im Verhalten der Welt und der Menschen darauf schließen lasse, dass
wirklich einmal ein Messias erschienen sei. Hier taucht wieder die
alte jüdische Idee von der notwendigen Realisierung und Realistik
des messianischen Gedankens auf. Aber er geht weiter. Er deckt den
tieferen Grund auf, warum der Jude in der Opposition bleibt: die
Verschiedenartigkeit in der Auffassung des göttlichen Wesens.
Wenn — erklärt Ramban — Gott und Jesus wesensgleich seien, Jesus
also göttlich sei, dann verstoße es für die jüdische Auffassung
wider die Natur und wider die Vernunft, sich vorzustellen, ein
göttliches Wesen werde im Leib einer jüdischen Mutter geboren, um
dann nach Ablauf eines ganz irdischen Lebens hingerichtet zu werden,
wieder aufzuerstehen und in seinen göttlichen Zustand
zurückzukehren. Solche Argumentation erweist die Zwecklosigkeit des
Wortstreites. Die offizielle Disputation wird abgebrochen, aber dann
in der Synagoge fortgesetzt. Da erklärt Pablo, das Dogma von der
Dreieinigkeit sei ein so tiefes Mysterium, dass es selbst für die
Engel undurchdringlich bleibe. Ramban erwidert ihm, dass man dann
die Menschen auch nicht dafür verantwortlich machen dürfe, wenn sie
es nicht begreifen.
Man muß zugeben, dass diese Art der Kirche, gegen das Judentum zu
kämpfen, wenigstens im Prinzip den Versuch einer geistigen
Auseinandersetzung darstellt. Darum wurden aber keineswegs die
gröberen Mittel vernachlässigt, und unter diesen Mitteln werden zwei
besonders bevorzugt: die Anklage wegen Ritualmord und die wegen
Hostienschändung.
Anklagen wegen Ritualmord und Hostienschändung
An diese beiden Verbrechen glaubte das Volk.
Darüber hinaus wurden sie vielfach und vielerorts auch von
denjenigen begünstigt und benutzt, die nicht daran glaubten.
Deutschland steht im 13. Jahrhundert mit
derartigen Anklagen an der Spitze. Schon 1221 spielt sich ein
Ritualmordprozess in Erfurt ab. 1235 taucht die Anschuldigung
massenweise auf. Unter ihnen mag der Vorfall von Fulda wegen seiner
prinzipiellen Bedeutung Darstellung finden:
Am ersten Weihnachtsabend 1235 brennt in Fulda das Haus eines
Müllers ab. Die Eltern sind fort; nur die Kinder sind daheim. Sie
kommen bei dem Brand um. An Stelle jeder Erwägung, wie dieses
Unglück geschehen sein könne, tritt sofort die Behauptung, die Juden
hätten den Kindern das Blut abgezapft und dann das Haus angezündet.
32 Juden werden daraufhin verhaftet, so lange gefoltert, bis sie
eingestehen, was gewünscht wird, und dann von gerade anwesenden
Kreuzfahrern totgeschlagen. Die Leichen der Kinder werden als
»heilige Märtyrer« erklärt. Friedrich II., der sich in der Nähe
aufhielt, erklärte angesichts der Erschlagenen: »Verscharrt sie, sie
sind zu nichts anderem mehr zu gebrauchen.« Aber darüber hinaus
beschließt er, dem die Gründe solcher Anklagen nicht verborgen sind,
eine prinzipielle Aufklärung. Er setzt eine gelehrte Kommission ein,
die der Frage des Ritualmordes auf den Grund gehen soll. Die
Kommission war geteilter Meinung.
Friedrich greift weiter aus. »Diese (die Kommission), da sie
verschieden waren, äußerten verschiedene Meinungen über den Fall,
und da sie sich unfähig zeigten, über die Sache einen hinreichenden
Beschluss zu finden, wie es sich gehörte, so sahen wir aus unseres
Wissens geheimen Tiefen voraus, dass nicht einfacher gegen die des
genannten Vergehens beschuldigten Juden einzuschreiten sei, als
durch solche Leute, die Juden gewesen und zum Kult des christlichen
Glaubens bekehrt waren, die gleichsam als Gegner nichts verschweigen
würden, was sie hierüber gegen jene oder gegen die mosaischen Bücher
oder mit Hilfe der Reihe des Alten Testaments wissen konnten. Obwohl
nun unsere Weisheit durch die vielen Bücher, die unsere Erhabenheit
kennengelernt, die Unschuld genannter Juden vernünftigerweise für
erwiesen hielt, so haben wir doch zur Genugtuung nicht weniger des
ungebildeten Volkes als des Rechtes aus unserem voraussichtigen
heilsamen Entschluss und im Einverständnis mit den Fürsten, Großen,
Edlen, den Äbten und Kirchenmännern über diesen Fall an alle Könige
der abendländischen Zonen Sonderboten entsendet, durch die wir aus
ihren Königreichen im Judengesetz erfahrene Neugetaufte in möglichst
großer Zahl vor uns beschieden haben.«
Nach langer Beratung ergab sich der selbstverständliche Schluss,
dass aus den jüdischen Schriften nur das strengste Verbot jeglicher
Blutopfer festzustellen sei. Friedrich II. stellte daraufhin den
Juden eine Sentenz aus, die jede derartige Beschuldigung für das
ganze Reich in Zukunft untersagte.
Diese Sentenz war aber gegenüber dem Volksglauben und gegenüber der
unterirdischen Tätigkeit des Klerus wirkungslos. Noch zu Friedrichs
Lebzeiten sah sich Innozenz IV. (1247) veranlasst, eine Bulle an die
Bischöfe von Frankreich und Deutschland zu richten, die zugleich den
Grund solcher Anklagen hinreichend aufklärte. »Wir haben die
flehentliche Klage der Juden vernommen, dass manche kirchlichen und
weltlichen Würdenträger wie auch sonstige Edelleute und Amtspersonen
in Euren Städten und Diözesen gottlose Anklagen gegen die Juden
erfänden, um sie aus diesem Anlass auszuplündern und ihr Hab und Gut
an sich zu raffen. Diese Männer scheinen vergessen zu haben, dass es
gerade die alten Schriften der Juden sind, die für die christliche
Religion Zeugnis ablegen. Während die Heilige Schrift das Gebot
aufstellt: Du sollst nicht töten! und ihnen sogar am Passahfest die
Berührung von Toten untersagt, erhebt man gegen die Juden die
falsche Beschuldigung, dass sie an diesem Feste das Herz eines
ermordeten Kindes äßen. Wird irgendwo die Leiche eines von
unbekannter Hand getöteten Menschen gefunden, so wirft man sie in
böser Absicht den Juden zu. Es ist dies alles nur ein Vorwand, um
sie in grausamster Weise zu verfolgen. Ohne gerichtliche
Untersuchung, ohne Überführung der Angeklagten oder deren
Geständnis, ja in Missachtung der den Juden vom apostolischen Stuhl
gnädig gewährten Privilegien beraubt man sie in gottloser und
ungerechter Weise ihres Besitzes, gibt sie den Hungerqualen, der
Kerkerhaft und anderen Torturen preis und verdammt sie zu einem
schmachvollen Tode... Solcher Verfolgungen wegen sehen sich die
Unglückseligen gezwungen, jene Orte zu verlassen, wo ihre Vorfahren
von alters her ansässig waren. Eine restlose Ausrottung befürchtend,
rufen sie nun den apostolischen Stuhl um Schutz an ...«
Solche Erklärung, dazu vom Papsttum ausgehend, erspart dem
Historiker die Motivierung.
Aber auch diese Bulle, ausklingend in die Forderung an die Christen,
den Juden »freundlich und wohlwollend zu begegnen«, versagt vor der
allgemeinen Auflösung der Ordnung in Chaos, die die Zeit des
Interregnums kennzeichnet.
Zwischen 1264 und 1267 sind Judenmetzeleien an der Tagesordnung.
Nach dem Regierungsantritt der Habsburger mehren sich die
Ritualmordprozesse. (Mainz 1283, München 1286, Oberwesel 1288.)
Es treten jetzt auch die Erscheinungen der wunderwirkenden Hostie,
der hostia mirifica auf. Hier wird behauptet Juden würden
Hostienoblaten stehlen oder kaufen um sie zu durchstechen, damit
symbolisch den Leib Christi durchstechend. Aus vielen solcher
Hostien strömt dann heilkräftiges Blut. So geschah es 1287 in
Pritzwalk in Brandenburg. An der Stelle, wo man diese wundertätige
Hostie aufgefunden hatte, wurde ein Frauenkloster erbaut, das sich
reichen Besuches der Kranken und reicher Gaben erfreute. In der
Folge wurde das Hostienwunder so oft wahrgenommen, dass selbst von
Rom dagegen Protest erhoben wurde.
1298 wurde den Juden des Städtchens Röttingen in Bayern zur Last
gelegt, eine Hostie gefunden und in einem Mörser zerstoßen zu haben.
Ein Edelmann mit dem beziehungsreichen Namen Rindfleisch erklärte
sich vom Himmel berufen, Rache dafür zu nehmen. Er sammelte eine
Bande um sich, schlug alle Juden der Stadt tot, zog mordend und
plündernd durch das Land, vernichtete die Gemeinde Würzburg fast
vollständig, überfiel dreimal die Gemeinde Rotenburg und konnte bis
zum Herbst 1298 fast 140 jüdische Siedlungen und Gemeinden
vernichten. Unter seiner Einwirkung taucht die wunderwirkende Hostie
auch in Osterreich auf.
Das ist, in groben Zügen umrissen, die Welt, in der der Jude des 13.
Jahrhunderts zu leben gezwungen ist.
Der "More newuchim" wird verbrannt:
Der
Kampf gegen den RaMBaM
Rationalisten, Antirationalisten und die Lehre von
der "doppelten Wahrheit"...
hagalil.com
10-02-05 |