Talmud
Talmud, das Lernen, oder wie
Jakob Fromer übersetzte
"die Lernung"
Unsystematisch schwebend und assoziativ
Jakob Fromer
Schon die Mischna entbehrt trotz der scheinbaren
Systematik des logischen Aufbaues. Die Ordnungen, Traktate, Kapitel
und Stücke sind häufig willkürlich aneinander gereiht. Sätze, die
aus einer Reihe von Gliedern bestehen, werden gewöhnlich nur durch
ein einziges Glied angedeutet. In der Gemara treten diese Mängel
noch weit stärker hervor. Sprache und Sinn sind häufig selbst den
Eingeweihten unverständlich. Man gewinnt den Eindruck, als verlören
sich die Erklärungen und Auseinandersetzungen ins Uferlose. Themata,
die mit der Sache nichts zu tun haben, werden scheinbar an den
Haaren herbeigezogen. Wer sich in diesem Labyrinth zurechtfinden
will, muss sich auf Schritt und Tritt von zahlreichen Kommentaren
und Kompendien leiten lassen, vor allem die Fähigkeit des intuitiven
Erfassens haben, die nur durch eine von Kindheit an gepflegte Übung
gewonnen werden kann.
Um so schwieriger ist es, dem Uneingeweihten einen
Einblick in dieses Werk zu ermöglichen. Die Übersetzung kann im
besten Falle nur den Text genau wiedergeben, Um ihn verständlich zu
machen, muss man ihr Wort für Wort und Satz für Satz Anmerkungen und
Erklärungen beifügen. Das wirkt nicht nur äußerst ermüdend, sondern
kann auch seinen Zweck nie ganz erreichen. Der talmudische Text
muss, wenn er verständlich gemacht werden soll, in den meisten
Fällen umgestellt, zusammengezogen oder erweitert werden. Der
Kommentar aber ist an die Wortfolge des Textes gebunden.
Das sind die Gründe, die mich veranlaßt haben, bei
der vorliegenden Übersetzung eine neue Methode anzuwenden. Ich
schicke jeder Scholie ein Referat voraus, worin ich, ohne
irgendwelche Vorkenntnisse vorauszusetzen, den Inhalt und die
Zusammenhänge erkläre. Darauf lasse ich die Übersetzung folgen, die,
weil ihr Sinn dem Leser bereits bekannt ist, sich dem Text aufs
genaueste anschmiegen kann und, bis auf geringe Ausnahmen, von jeder
Einschaltung frei ist*.
Bei dem knappen Raum, der mir bei dieser Arbeit zur Verfügung stand,
mußte ich eine Auswahl treffen. Ich entschied mich zunächst für
fünfzehn Traktate, die den modernen Leser besonders interessieren
dürften. Um bei der weitern Auswahl, die ich nun vornehmen mußte,
eine Willkür möglichst auszuschalten, griff ich grundsätzlich die
ersten Seiten eines jeden Traktates heraus. Auf diese Weise sind im
ganzen 114 Textseiten zur Bearbeitung gelangt. So gering auch diese
Auslese im Verhältnis zu dem ganzen Talmudwerke ist, dürfte sie doch
dem Uneingeweihten,
* Dem Texte legte ich die gewöhnlichen Talmud-Ausgaben zugrunde. Wo
es nötig schien, korrigierte ich ihn nach Rabbinowicz Sariae
lec-tiones im Talmud' (München und Przemysl 1867 bis 1897).
Unter
http://www.juedisches-recht.org/miller/talmud-blatt.htm findet
sich die erste Seite des ersten Traktats Berachot (Segenssprüche) in
der ersten Ordnung Sera'im (Saatgut) aus dem babylonischen Talmud.
Ein weiteres Beispiel: Die erste Mischna im
Traktat Jom-Tov (oder Beza = Ei) fängt mit den Worten an: "Ein am
Feiertag gelegtes Ei -
Bet-Schamai sagt, es darf gegessen werden und
Bet-Hillel sagt, es darf nicht gegessen werden". Zu
beachten ist, dass es sich um ein Ei, das ein zum Essen bestimmtes
Huhn, im Gegensatz zu einem zum Eierlegen vorgesehenen, am Feiertag
gelegt hat.
Elf lange Seiten beschäftigt sich die Gemara mit diesem einen kurzen
Satz. Was zum Schluß dabei herauskommt
erfahren
Sie hier...
dem es nur darauf ankommt, einen Einblick in die talmudische
Dialektik zu gewinnen, vollkommen genügen. Als Kommentar zu der fast
ausschließlich aus Halakot bestehenden Mischna müßte sich die Gemara
nur mit rechtswissenschaftlichen Fragen beschäftigen. Von Zeit zu
Zeit empfanden jedoch die Talmudlehrer das Bedürfnis, ihren Geist
von dieser äußerst anstrengenden Beschäftigung auf leichtere Dinge
abzulenken, die mit ,Aggada\ Erzählung, Unterhaltung, bezeichnet
werden und auf alle nichtjuristischen Wissenszweige, wie
Philosophie, Geschichte, Geographie, Naturkunde usw., vor allem
Erbauung, Sitten, lehre und Exegese sich erstrecken. Diese mit der
Mischna In keinem ursächlichen Zusammenhang stehenden Partien kommen
in der Regel erst in den späteren Kapiteln vor. Zur Einführung in
dieses Werk schien mir der neunte Traktat der dritten Ordnung,
betitelt ,Pirke Abot', Sprüche der Väter, besonders geeignet, weil
er ein getreues Bild von der sittlichen Beschaffenheit der
Talmudlehrer gewährt und zugleich einen kurzen Überblick über die
Geschichte des Talmud gibt.
In der überlieferten Fassung freilich können diese Sprüche nicht
recht zur Würdigung gelangen, besonders soweit der moderne Leser
dabei in Betracht kommt. Die Ordnung nach den Talmudlehrern, von
denen die einzelnen Sätze herrühren, macht die Übersicht äußerst
schwer. Dazu haben auch die Namen der Lehrer für die Uneingeweihten
wenig Interesse und werden deshalb als störend empfunden. Ich habe
nun das Ganze nach Materien geordnet und dabei die Namen der Autoren
weggelassen. Da diese Sprüche bis auf geringe Ausnahmen
gemeinverständlich sind, beschränkte ich mich auf eine bloße
Übersetzung. Dabei war es mir in erster Reihe um eine gehobene und
rhythmische Sprache zu tun.
Um ihretwillen zog ich zuweilen eine freie Übertragung vor. In der
Regel aber hielt ich mich streng an den Wortlaut des Textes. In dem
einleitenden Stück, die Überlieferung der G'tteslehre', fügte ich
dem Wortlaut eine Ergänzung hinzu.
Charlottenburg, im Oktober 1924
JAKOB FROMER
2000 Lizenzausgabe für Komet Verlag, Frechen © MECO Buchproduktion,
Dreieich
Alle Rechte vorbehalten Druck und Bindung: Graphischer Großbetrieb
Pößneck
ISBN 3-933366-66-6 Printed in Germany
Ben-Bag Bag und Ben-Hej Hej aktuell:
Wende
es immer von neuem, denn alles ist darin enthalten
Talmud und Internet - Eine Geschichte von zwei
Welten...
Ben-Bag Bag sagte:
Drehe
sie hin und drehe sie her, denn alles ist in ihr...
Sprüche der Väter zur G'tteslehre...
DER BABYLONISCHE TALMUD
DIE G'ttESLEHRE
IHR URSPRUNG UND IHRE GESCHICHTE
MOSES EMPFING DIE TORA, die G'tteslehre, am Berge
Sinai.
Die Lehre empfing er in einer schriftlichen
und mündlichen Gestalt. Die schriftliche Lehre enthielt die nach ihm
genannten fünf Bücher. In der mündlichen Lehre, dem Talmud, war
alles angedeutet, was die maßgebenden Schriftgelehrten in der
Folgezeit von der schriftlichen Tora ableiten würden.
Moses überlieferte die Lehre dem Josua.
Josua überlieferte sie den Ältesten,
Die Ältesten regierten zur Zeit der Richter
das Volk. Mit ihnen endete die erste Überlieferungsepoche. Sie
kennzeichnete sich durch die Zeitrechnung nach dem Auszug aus
Ägypten.
Die Ältesten übergaben sie den Propheten und die
Propheten den Männern der großen Versammlung.
Diese Synode stand von der Zerstörung des
ersten Tempels bis zu der Zeit, da Palästina unter die Herrschaft
des griechischen Königs Seleucos kam, an der Spitze des jüdischen
Volkes.
Der letzte unter den Männern der Großen Synode war Simon der
Gerechte.
Mit ihm endete die zweite Epoche. In ihr
zählten die Juden nicht mehr nach dem Auszug aus Ägypten, sondern
nach der Regierungszeit ihre Könige.
Die Männer der großen Synode übergaben die Tora
den Talmudlehrem. Mit ihnen begann die dritte Epoche. Sie
kennzeichnet sich durch die Zählung nach der Herrschaft der
Seleuciden (Lischetarot) und zerfällt in vier Perioden.
In der ERSTEN PERIODE heißen die Talmudlehrer
Peruschim, Pharisäer, Abgesonderte, weil sie die Berührung mit den
talmudisch ungebildeten Volksmassen, den Amej haArez, ängstlich
mieden. Der Nasi, Patriarch, der an der Spitze ihres Synhedrion, des
hohen Rates, stand, wurde durch Wahl ernannt.
Die ZWEITE PERIODE begann mit dem Patriarchen
Hillel, der in der zweiten Hälfte des ersten vorchristlichen
Jahrhunderts gelebt hat. Mit ihm wurde das Patriarchat erblich. Die
Talmudlehrer hießen fortan Rabbanan, unsere Herren (Einzahl: Rabbi,
mein Herr [Matthäus 23,7: ,und habens gerne, daß sie... Rabbi
genannt werden']) und Chachamim, die Weisen. Der Nasi hieß Rabban,
unser Herr.
Die DRITTE PERIODE beginnt mit der Zerstörung des
zweiten Tempels (70 n. Chr.). Neben den früheren Bezeichnungen
erhielten die Talmudlehrer noch den Titel Tannaim, Tannaiten,
Überlieferer, weil sie die auf mündlichem Wege sich fortpflanzenden
Entscheidungen (Mischnajot, Einzahl Mischnah) sammelten.
Die VIERTE PERIODE beginnt mit dem Abschluß der
Mischna (Anfang des dritten nachchristlichen Jahrhunderts) und endet
mit dem Abschluss des babylonischen Talmud (Ende des fünften
nachchristlichen Jahrhunderts). Die palästinensischen Lehrhäuser
verkümmern, während die babylonischen zur Blüte gelangen. Die
Talmudlehrer heißen jetzt Amoraim, Amoräer, Erläuterer, weil sie
sich hauptsächlich mit der Herstellung einer Gemara, Erklärung zur
Mischna, befaßten. In Babylonien wurden sie nicht mehr Rabbi,
sondern Rab oder Mar, Herr, genannt. Die vierte Periode umfasst die
Zeit von dem Abschluss des Talmud bis in die Gegenwart. In ihr wird
nach der Weltschöpfung gezählt. Der babylonische Talmud ist die
einzig maßgebende Rechtsquelle. Die VÄTER, von denen die Sprüche
dieses Traktates herrühren, sind die Talmudlehrer der ersten und
zweiten Periode der dritten Epoche, die Pharisäer und Tannaiten.)
Sprüche der Väter:
Die G'tteslehre
Die Masakheth Awoth im babylonischen Talmud
Aus dem 1.Kapitel
Ein köstlich Kleinod ist die G'tteslehre, sie
beglückt in diesem und im künftigen Leben. 6,7. Wer sie ehrt, wird
geehrt, wer sie missachtet, wird verachtet. 4,8.
Wer ihren Dienst auf sich nimmt, wird von den
weltlichen Lasten befreit; wer sich ihr entzieht, dem wird der
Gesellschaft Joch aufgebürdet. 3,6.
Seinen Liebling, seinen Freund nennt dich G'tt, so
du dich ihr liebevoll ergibst. Sie schmückt dich mit Demut und
G'ttesfurcht, begnadet dich mit Gerechtigkeit und Redlichkeit,
Frömmigkeit und Treue. Sie bekleidet dich mit Macht und Würde,
verleiht dir Einsicht und Scharfsinn in der Rechtsergründung, so
dass alle deines Rates und deiner Tatkraft sich erfreuen. So erhöht
und erhebt sie dich über alle Menschen. 6,1.
Eher kann man zum Amt des Hohenpriesters und zur
Königswürde gelangen als zu ihr.
Zahlreiche Tugenden heischt ihr Erwerb: emsigen
Fleiß und unermüdliches Forschen, Ohrenspitzen und deutliches
Sprechen, Einsicht und Verstand, G'ttesfurcht und Sündenscheu,
heiteres Gemüt und lauteren Sinn, Verkehr mit Lehrern, Umgang mit
Genossen und Auseinandersetzung mit den Schülern, Einschränkung des
geschäftlichen Erwerbs und des weltlichen Verkehrs, Mäßigkeit im
Schlaf, der Unterhaltung und Zerstreuung, Langmut und Herzensgüte,
festen Glauben und Geduld im Leiden, Bescheidenheit und
Genügsamkeit, Knappheit im Reden und Prunklosigkeit im Handeln,
Liebe zu G'tt und zu den Menschen, Liebe zur Tugend und zur
Redlichkeit, willige Hinnahme der Zurechtweisung und Flucht vor
Ehrenbezeugungen... 6, 6.
2
Trachte immer tiefer in die G'tteslehre
einzudringen, denn alles ist in ihr enthalten. Bis ins höchste Alter
lass nicht ab von ihr, denn die Beschäftigung mit ihr ist der beste
Beruf. 5, 25.
Wer nicht lernen will, ist des Lebens unwert; wer
nicht zulernt, nimmt an Wissen ab. 1, 13.
Befleißige dich ihrer, denn sie ist kein erblich
Gut. 2, 17.
Sprich nicht: "Wenn ich Muße habe, will ich
lernen", du möchtest dann nie Muße haben. 2, 5.
Wer sie pflegt in der Not, der wird sie auch im
Wohlstand pflegen können. Wer sie im Glück verschmäht, der wird sie
auch in der Armut vernachlässigen müssen. 4, 11.
Wer nur eines ihrer Worte vergisst, der hat sein
Seelenheil verwirkt. 3, 10.
Wer sich mit ihr auf dem Wege beschäftigt, und
sich unterbricht und sagt: wie schön ist dieser Baum, wie schön ist
dieser Acker, der vergeht sich an seinem Seelenheil. 3, 9; 3, 5.
Ein Sitz der Spötter ist der Ort, wo zwei
zusammensitzen und nicht von der Lehre reden, ein Aufenthalt G'ttes
aber, wo sie sich mit der Lehre befassen. 3,5.
Wenn drei an einem Tische essen, ohne von G'ttes
Wort zu reden, ist es, als ob sie ein Götzenmahl zu sich nähmen,
reden sie aber von G'tt, dann ist es, als äßen sie am Tische G'ttes.
3,4.
Wo zehn zusammensitzen und sich mit der Tora
befassen, weilt G'ttes Geist unter ihnen und sie bilden eine
G'ttesgemeinde... 3,7.
3
Wandere dahin, wo die Tora heimisch ist, und wähne
nicht, dass sie zu dir kommen werde. Nur im Verkehr mit Lerngenossen
erhältst du dich in ihrem Besitz. Verlass dich nicht auf deinen
Scharfsinn. 4, 18. Verschaff dir einen Lehrer, um dem Zweifel zu
umgehen. 1, 16.
Ein Sammelplatz der Weisen sei dein Haus. Sitze zu ihren Füßen und
trinke dürstend ihre Worte. 1, 4. Wer ist weise? Der sich
belehren lässt von jedermann. 4, 1.
Sei lieber ein Schweif vom Löwen als ein Haupt vom
Fuchse. 4,20.
Wo es (jedoch) an Männern fehlt, sei bestrebt, ein
Mann zu sein. 2, 6.
Ein Rabbi erzählte: Einst wanderte ich des Weges,
da begegnete mir ein Mann. Er bot mir den Friedensgruß und ich
erwiderte ihn. Er fragte mich: Rabbi, von welchem Orte bist du? Ich
erwiderte ihm: aus einer großen Stadt, reich an Weisen und
Gelehrten. Weiter fragte er: Rabbi, möchtest du dich nicht
entschließen, deinen Wohnsitz in unserem Orte zu nehmen? Ich würde
dir Tausende von Gold-Dinaren, Edelsteinen und Perlen geben. Ich
aber sprach zu ihm: Wenn du mir alle Reichtümer der Welt gäbest ich
wohnte doch nur an einem Ort, wo die Tora heimisch ist...
Wenn der Mensch von hinnen scheidet, geleiten ihn nicht Silber und
Gold, nicht Edelsteine und Perlen, sondern sein Wissen und seine
guten Werke... 6, 9.
4
Was man in der Kindheit lernt, gleicht der
Tintenschwärze, die auf neues Papier aufgetragen wird. Was man aber
im Alter erlernt, das ist wie Tinte auf beschriebenem Papier. 4,25.
Ein Rabbi sagte einst: wer von Kindern lernt, der
ist als wenn er nicht gereifte Trauben äße und Wein aus der Kelter
tränke. Wer aber von den Alten lernt, der gleicht dem, der die
Trauben genießt, wenn sie reif sind, und den Wein trinkt, wenn er
alt worden ist.
Ihm entgegnete ein anderer: "Achte nicht auf den Krug, sondern
darauf, was darin ist. Mancher Krug ist neu und hat doch alten Wein,
und mancher Krug ist alt und hat nicht einmal jungen Wein". 4,
26-27.
Vier Arten gibt es unter den Jüngern der Weisheit:
Schwamm, Trichter, Seihe und Schwinge. Der Schwamm saugt alles ein;
der Trichter lässt hinaus, was er eingenommen hat; die Seihe lässt
den Wein hindurch und behält die Hefe zurück; die Schwinge wirft die
Kleie hinaus und behält das Mehl. 5, 17.
Vierfach unterschieden sind die Fähigkeiten der Schüler: leicht
fassen und leicht vergessen: da wird der Vorzug von dem Fehler
aufgewogen.
Schwer fassen und schwer vergessen: da wird der Fehler von dem
Vorzug aufgewogen.
Leicht fassen und schwer vergessen: das ist das Beste.
Schwer fassen und leicht vergessen: das ist das Schlimmste. 5,15.
Der Tor und der Weise verraten sich in sieben
Dingen. Der Weise schweigt vor dem, der ihn an Einsicht überragt; er
fällt dem andern nicht ins Wort, und ist bedachtsam in der Antwort,
er fragt zur Sache und antwortet nach Gebühr, spricht vom ersten
zuerst und vom letzten zuletzt, wovon er nichts weiß, sagt er, ich
weiß es nicht. Wenn er einsieht, dass er sich geirrt hat, gesteht er
seinen Irrtum unumwunden ein. Gegenteilig von alledem handelt der
Tor. 5, 10.
Wer von einem anderen einen Abschnitt oder einen
Satz, einen Vers, selbst auch nur ein Wort oder einen Buchstaben nur
gelernt hat, ist verpflichtet, diesem ehrerbietig zu begegnen. 6,3.
Frage immer wieder, wenn du nicht verstanden hast.
Der Schüchterne taugt nicht zum Weisheitsjünger. 2, 6.
Die Achtung vor deinem Genossen gleiche der
Ehrfurcht vor deinem Lehrer, und die Ehrfurcht vor deinem Lehrer
gleiche der Ehrfurcht vor G'tt. 4, 15.
Wärme dich am Feuer der Weisen und nimm dich in
acht vor ihren Kohlen, damit du dich nicht verbrennest. Denn der
Biss der Weisen ist wie der des Fuchses und ihr Stich wie der des
Skorpions und ihr Zischen das einer Schlange. 2,15.
5
Seid, ihr Lehrer, bedachtsam mit euren Lehren,
denn ein Versehen wird leicht zum Frevel. 4, 16. Trage nichts
vor, was nicht öffentlich bekannt werden darf; es könnte doch in die
Öffentlichkeit gelangen. 2, 5. Die Ehre deines Schülers sei dir
lieb wie die eigene. 4, 15.
(Übe Nachsicht mit den Schülern)
nicht zum Lehrer taugt der Zornige. 2, 6.
Lehre um zu lernen, lerne, um danach zu leben. 4,
6.
(Wenn du zu Gericht sitzest) frage sorgfältig die
Zeugen aus. Sei aber behutsam mit deinen Fragen, dass sie nicht aus
ihnen lernen, die Wahrheit zu umgehen.
(Wenn du zu Gericht sitzest) wirf dich nicht zum
Sachwalter der Parteien auf, betrachte vielmehr beide für schuldig,
so lange sie vor dir stehen. Sobald sie aber von dir gegangen sind,
siehe sie als schuldlos an, wenn sie deinem Urteil sich gefügt
haben. 1, 8.
Richte nie allein, denn richten darf nur G'tt.
Sprich nicht zu deinen Gerichtsgenossen: schließt euch meiner
Meinung an. Darüber sollen sie entscheiden und nicht du. 4, 10.
Hast du vieles gelernt, so tue dir nichts darauf
zugute, denn schließlich wurdest du ja geschaffen um zu lernen. 2,
9.
Mache die G'tteslehre nicht zu einer Krone, um
damit zu prunken, und nicht zu einem Spaten, um damit zu graben.
4,7.
Wer die G'tteslehre missbraucht, geht zugrunde.
1,13.
Heilsam ist die G'tteslehre, wenn sich ihr ein
weltlicher Beruf gesellt; beider Pflege hält die Sünde fern. 2, 2.
Ohne G'tteslehre keine Gesittung, ohne Gesittung
keine G'tteslehre. Ohne Weisheit keine G'ttesfurcht, ohne
G'ttesfurcht keine Weisheit. Ohne Wissen keine Einsicht, ohne
Einsicht kein Wissen. Ohne Nahrung keine G'tteslehre, ohne
G'tteslehre keine Nahrung. 3, 21.
Liege (jedoch) weniger den Geschäften und desto
mehr der Tora ob, und sei bei allem Wissen demütig gegen
jedermann... 4,12.
Wer allzu sehr dem Erwerbe sich ergibt, wird nicht
weise. 2,6.
Dies ist der Weg zur Tora: Brot mit Salz sollst du
essen, selbst Wasser zugemessen trinken, auf der Erde sollst du
schlafen, ein entbehrungsvolles Leben sollst du fuhren und bei
alledem rastlos ihr dich widmen. Wenn du also tust, dann heil dir
hienieden und wohl dir im künftigen Leben. 6,4.
Trachte nicht nach Ruhm noch nach Ehre. Achte mehr
auf Tun, denn auf Wissen. Lass dich nicht gelüsten nach der Tafel
der Fürsten. Denn deine Tafel und deine Krone stehen höher denn die
ihren. 6,5.
Viel Fleisch, viel Gewürm; viel Güter, viel
Sorgen; viel Weiber, viel Zauberei; viel Mägde, viel Unzucht; viel
Knechte, viel Untreue; viel Tora, viel Leben... 2,8.
7
Auf drei Dingen steht die Welt: auf der Tora, (
dem G'ttesdienst und der Nächstenliebe. Höher als die Erforschung
der Lehre steht die gute Tat. 1, 17. * Bestandlos ist das Wissen,
wenn es nicht auf der Tat begründet ist. 3, 12. Was frommt die
Weisheit, wenn sie nicht vor der Sünde zu schützen vermag. 3, 11.
Einem Baume mit vielen Zweigen und wenig Wurzeln gleicht, der vieles
weiß und wenig tut. Bricht ein Sturm herein, dann beugt er ihn
nieder und wirft ihn um. 3, 22.
(Höher aber als die Tat steht die G'ttesfurcht.) Wer die Heiligtümer
entweiht, die Feste verachtet, seinen Nächsten öffentlich beschämt,
den Bund Abrahams zerstört und die Tora mißdeutet, der hat keinen
Teil am Jenseits, selbst wenn er die Tora lernt und Wohltaten übt.
3, 15.
Drei Kronen gibt es: die Krone der Tora, des
Priestertums und des Königtums. Die Krone eines guten Namens
überstrahlt sie alle. 4,17.
8 Seid nicht wie die Knechte, die dem Herrn nur um des Lohnes
willen dienen, sondern wie jene, die ihrem Herrn dienen ohne
Rücksicht auf
Einleitung
den Lohn. Die Ehrfurcht vor G'tt walte in euch 1,3. Sei mutig wie
derTiger und aufstrebend wie der Adler, schnell wie der Hirsch und
stark wie der Leu, um denWillen deines himmlischen Vaters zu
vollbringen. 5, 23. Sei eifrig in der Übung der unscheinbarsten
guten Tat und in dem Meiden einer noch so geringen Sünde, denn
unübersehbar sind die Folgen. 4, 2. Wenn du betest, dann tue es
nicht, um nur dem Herkommen zu genügen, sondern es sei ein
inbrünstiges Flehen vor G'tt... und zweifle niemals an seiner Gnade.
2, 18. Gib G'tt von dem deinen, denn alles ist sein: du und
alles, was du hast. 3, 8. Mache G'tteswillen zu dem deinen,
damit er deinen Willen zu dem seinen mache. Unterdrücke deinen
Willen vor dem seinen, damit er jeden Willen deiner Feinde vor dem
deinen unterdrücke. 2, 4- * * Was du auch unternimmst, das tue im
Namen G'ttes. 2, 17. Jeder Streit um G'ttes Willen ist von
bleibendem Wert. Jeder Streit um persönliche Dinge stiftet Unheil.
Das Vorbild eines segensreichen Streites sind die Schulen Hilleis
und Schammais, das eines unheilvollen Streites hingegen der
persönliche Zwist der Rotte Korah. 5, 20.
Jeder im
Namen G'ttes gestiftete Verein hat Bestand. 4, 14. * Wer den Namen
G'ttes auch nur heimlich entweiht, der entgeht der öffentlichen
Strafe nicht, gleichviel ob er es fahrlässig oder mutwillig getan.
4, 5. Wenn ich nicht für mich bin, wer ist für mich? Wenn ich
nur für mich bin, was bin ich? Und wenn nicht jetzt, wann denn? 1,
14. * * Der Tag ist kurz, der Arbeit ist gar viel. Die Arbeiter
sind träge, der Lohn ist groß und der Hausherr drängt. 2, 20.
Es liegt dir nicht ob, selbst das
Einleitung
Werk zu vollenden, aber du hast nicht die Freiheit, dich ihm zu
entziehen. 2, 21.
Dein Werkmeister ist zuverlässig und
zahlt dir den Lohn deines Wirkens; doch wisse, daß dem Frommen die
Belohnung erst jenseits zuteil wird. 2, 21. *t* Das Leben hienieden
gleicht einer Vorhalle der künftigen Welt. Rüste dich in der
Vorhalle, damit du würdig werdest, in den Palast zu treten. 4, 21.
Einen Fürsprecher erwirbt sich, wer ein göttliches Gebot erfüllt,
einen Ankläger, wer eine schlechte Tat begeht. Die Bußfertigkeit
zusammen mit der guten Tat bilden einen Panzer gegen das
Strafgericht. 4, 13.
Eine Stunde der Buße und guter Werke hienieden ist mehr wert
als das ganze Jenseits, und die Seligkeit einer Stunde im Jenseits
ist mehr wert als alle Freuden dieses Lebens. 4, 22. Alles ist
vorhergesehen, dennoch ist die freie Wahl gegeben. Nach Gnade wird
die Welt gerichtet, dennoch wird alles nach dem Übergewicht der
guten Handlungen entschieden. 3, 19. Alles wird auf Borg
gegeben und ein Netz ist über alles Lebende ausgebreitet. Der Laden
ist offen.und der Krämer borgt. Das Buch ist aufgeschlagen, und die
Hand schreibt. Wer geliehen haben will, mag kommen und leihen. Die
Schuldforderer gehen täglich umher und ziehen die Schulden ein,
gleichviel ob der Schuldner willig ist oder nicht, denn sie haben
eine feste Stütze. Der Urteilsspruch ist ohne Fehl... 3, 20.
Als Hillel einst einen Schädel auf dem Wasser schwimmen sah, sprach
er: weil du ertränkt hast, haben sie dich ertränkt, und auch die,
welche dich ertränkt haben, werden ertränkt werden. 2, 7.
Demütig sei der Mensch, denn was des Sterblichen harrt, ist der
Einleitung
Wurm. 4, 4- * * Bedenke drei Dinge und du wirst nie in eine Sünde
verfallen. Bedenke, woher du kommst, wohin du gehst und vor wem
dereinst du Rechenschaft abzulegen haben wirst. Du kommst von einem
verfaulten Tropfen, gehst zu Staub und Gewürm und wirst dereinst vor
dem König der Könige Rede stehen müssen. 3, 1. Der Geborenen
harrt der Tod und des Todes die Auferstehung, und der Auferstehung
das Gericht vor dem, der Schöpfer und Bildner, Kläger, Zeuge und
Richter ist, vor dem es weder Unrecht noch Vergessen, weder
Begünstigung noch Bestechung gibt. Und laß dich nicht vom bösen
Trieb beschwichtigen, daß das Grab eine Zufluchtsstätte für dich
sei. Gegen deinen Willen wurdest du erschaffen, gegen deinen Willen
lebst du, gegen deinen Willen wirst du sterben, und gegen deinen
Willen wirst du Rechenschaft ablegen müssen vor dem König der
Könige, dem Heiligen, gelobt sei er. 4, 29. Traue dir selbst
nicht bis zum Tage deines Todes. 2, 3.
9| Unterordne dich dem Haupte, sei nachsich- tig gegen die
Jugend und komme jedermann freundlich entgegen. 3, 16; 4, 20; 1, 15.
Liebe den Frieden und jage ihm nach. Liebe die Menschen und leite
sie zur Tora. 1,12. Dein Haus sei weit geöffnet, und die Armen
seien deine Hausgenossen. 1,5. Manche unterstützen die Armen,
sehen es aber nicht gern, daß es auch andere tun: das sind die
Eifersüchtigen. Andere handeln umgekehrt: das sind die Geizigen. Die
Frommen geben und wünschen, daß es auch andere tun. Die Bösen geben
nichts und verleiten auch die anderen dazu. 5, 6.
Mein
ist
16
Einleitung
mein und dein ist dein, das ist die Gesinnungsart der gewöhnlichen
Menschen oder gar der Sodomiter. Mein ist dein und dein ist mein, so
spricht der Pöbel. Mein ist dein und Dein ist dein, das ist die
Gesinnung der frommen. Mein ist mein und Dein ist mein, das ist die
Gesinnungsart des Bösewichtes. 5, 13. Jede Liebe, die auf einer
Sache beruht, verschwindet mit der Sache. Nur die Liebe, die auf
nichts beruht, ist von Dauer.
Bestandlos war die
sinnliche Liebe zwischen Amnon und Tamar, unvergänglich hingegen die
Freundschaft zwischen Jonatan und David. 5, 19. Die Ehre deines
Nächsten sei dir so viel wert wie die eigene. 2, 15.
(Auch) der Besitz deines Nächsten sei dir heilig wie der deine. 2,
17.
Verschaffe dir einen Lehrer, gewinne dir einen
Freund und beurteile jeden Menschen nach der günstigen Seite. 1, 6.
Verdamme niemand, solange du nicht in seiner Lage warst. 2, 6.
Freue dich nicht über die Trübsal deines Feindes, dein Herz
frohlocke nicht, wenn er gestrauchelt ist. Der Ewige könnte es
mißfällig sehen und seinen Zorn auf dich wenden. 2, 24. *
Versuche es nicht, deinen Nächsten zu besänftigen, wenn er vom Zorn
überwältigt ist. Tröste ihn nicht, solange der Tote vor ihm liegt.
Suche ihn nicht von seinem Ziele abzubringen in dem Augenblick, in
dem er es gefaßt hat, und besuche ihn nicht in der Stunde seiner
Erniedrigung. 4, 23.
1 C\ Wahrheit, Gerechtigkeit und Friede sind J. \J* die Pfeiler der
menschlichen Gesellschaft.
1,18.
Sondere dich nicht von der Gesamtheit ab. 2,5.
An wem die Menschen Wohlgefallen haben, an dem
Einleitung
hat auch G'tt Wohlgefallen... 3, 13. Welches ist der rechte
Weg, den der Mensch erwählen soll? Der, der nicht nur dem, der ihn
betritt, sondern auch den andern Menschen ehrenhaft erscheint. 2, 1.
Wer sich der Menschenfreundlichkeit, der Bescheidenheit
und der Genügsamkeit befleißigt, gehört zu den Jüngern Abrahams, die
Mißgünstigen, Übermütigen und Habgierigen hingegen zu denen Bileams.
5, 23. Bete für das Wohl der Obrigkeit. Wenn die Furcht vor ihr
nicht wäre, würde einer den andern lebendig verschlingen. 3, 2.
n Liebe die Arbeit, fliehe die Ehrsucht und dränge dich nicht
zu den Großen. 1, 10. Seid behutsam im Verkehr mit den Großen,
die den Menschen nur um des eigenen Vorteils willen an sich ziehen.
Sie begegnen ihm freundlich, solange ihr Nutzen es heischt, und
stehen ihm nicht bei, wenn er in Not gerät. 2,3. Wer Prozesse
meidet, der entgeht der Feindschaft, dem Raub und dem Meineid. Wer
sich bei der Rechtsentscheidung überhebt, ist töricht, frevlerisch
und hochmütig. 4,9. * Halte dich fern von einem bösen Nachbar.
Geselle dich nicht zu einem schlechten Menschen und wähne nicht, daß
die Strafe ausbleiben werde. 1, 7.
Mein Leben lang habe
ich unter Weisen verbracht und habe gefunden, daß für den Menschen
nichts heilsamer sei als Schweigen. 1, 17. * Sprich wenig und tue
viel. 1, 15.
Spare mit deinen Worten bei der Frau, sei es eine fremde oder die
eigne. Wer viel mit ihr schwatzt, zieht sich Böses zu, wird von der
Tora abgelenkt und gerät am Ende in die Hölle. 1,5. Ver-
18
Einleitung
gnügungssucht und leichter Sinn lenken von Zucht und Sitte ab. Die
mündliche Überlieferung ist ein Zaun für die geschriebene
G'tteslehre. Die Zehntengaben bilden einen Damm gegen übermäßigen
Reichtum. Die Gelübde sind Gehege für die Mäßigkeit. Schweigen ist
der Weisheit Zaun. 3, 17. Der Schlaf in den Morgen hinein, das
Weingelage am Mittag, das Schwatzen mit Kindern, der Aufenthalt
unter Ungebildeten führen zur Versumpfung. 3, 14. Verachte
niemand und unterschätze nichts. Es gibt keinen Menschen, der nicht
seine Stunde finden, und kein Ding, das nicht irgendwie zur Geltung
kommen könnte. 4, 3. Ein Rabbi fragte einst seine Schüler: ,Was
ist's, worauf der Mensch im Leben den größten Wert zu legen habe?'
Der eine sagte: ,ein wohlwollendes Auge', der andere:,ein guter
Freund', der dritte: ,ein guter Nachbar' der vierte ,das Schauen der
kommenden Dinge', der fünfte: ,ein gutes Herz'. Der Rabbi schloß
sich der letzten Ansicht an, weil in ihr alle andere enthalten ist.
2, 13.
Vier Gemütsarten gibt es: schwer zu erzürnen und schwer
zu besänftigen: leicht zu erzürnen und leicht zubesänftigen: bei
beiden wiegt der Nachteil den Vorteil auf. Schwer zu erzürnen und
leicht zu besänftigen: das ist die Gemütsart der Frommen; leicht zu
erzürnen und schwer zu besänftigen, das ist die Gemütsart der
Frevler. 5,14-
Wer ist ein Held? Wer sich selbst beherrscht. Wer ist reich?
Der mit seinem Lose zufrieden ist. Wer wird verehrt? Der die
Menschen ehrt. 4, 1. Schönheit und Kraft, Reichtum, Ehre und
Weisheit, hohes Alter und tugendhafte Kinder sind ein Schmuck der
Frommen und ein Schmuck der
Einleitung
Welt. 6, 8. Im fünften Lebensjahre ist der Mensch reif für das
Lesen der Tora, im zehnten für das Lesen der Mischna, im dreizehnten
für die Übung der göttlichen Gebote, im fünfzehnten für die
Erklärung der Mischna, im achtzehnten für die Ehe, im zwanzigsten
für den Lebensberuf, im dreißigsten gelangt er zu voller Kraft, im
vierzigsten zu vollem Verstand, im fünfzigsten zu einsichtigem Rat,
im sechzigsten zum gesetzten Alter, mit siebenzig zum Greisenalter,
im achtzigsten zum hohen Alter, im neunzigsten zum Verlöschen, im
hundertsten ist er wie tot. 5, 24.
20
ERSTE ORDNUNG:
SAATEN
1. TRAKTAT
,BERAKOT\ LOBSPRÜCHE
1. KAPITEL MISCHNA 1
DIE JÜDISCHE RELIGION weist einen ausgesprochenen demokratischen Zug
auf. Die altägyptischen Priester haben ihre heiligen Schriften, im
Gegensatz zu den demotischen, volksgebräuchlichen, in einer dem
Volke unverständlichen Schrift, den Hieroglyphen, abgefaßt, um das
Volk von den Geheimnissen der Religion fernzuhalten und um so fester
an die Hierarchie zu fesseln. Aus demselben Grunde hat die
katholische Kirche die Übersetzung der heiligen Schrift aus der dem
Volke unverständlichen lateinischen Sprache in die Landessprache
verboten. Im Pentateuch findet sich eine Reihe von Geboten und
Verboten, die ausdrücklich als eine Reaktion gegen die ägyptischen
Sitten und Gebräuche bezeichnet werden, so das Verbot des
Totenkultus, worin ausdrücklich gesagt wird, daß man es nicht so wie
die Ägypter machen solle. Ebenfalls im Gegensatz zu den Ägyptern
scheint der Verfasser des Pentateuch vorgegangen zu sein. Er bedient
sich einer durchaus volkstümlichen Sprache und mahnt das Volk auf
das nachdrücklichste, sich mit dieser Schrift eingehend zu befassen.
,Und du sollst von ihnen -den Geboten der Tora - reden, wenn du im
Hause sitzest und auf dem Wege gehest, dich niederlegest und
aufstehest' (5 B. M. 6, 7.)
Ein zweiter charakteri-
21
Erste Ordnung
stischer Zug der jüdischen Religion ist die Verharrung bei dem
einmal Festgesetzten. Andere Nationen pflegen die Gesetze, die mit
den Zeitverhältnissen nicht mehr übereinstimmen, abzuändern oder
ganz aufzuheben. Anders die Juden. Wenn es noch eines Beweises
bedurft hätte, daß sie tatsächlich vor dem Einzug in Kanaan in der
Wüste geweilt und dort Gesetze erhalten haben, so könnte man ihn aus
dem oben angeführten Gebote unzweideutig erbringen. Nur von einem in
der Wüste sich aufhaltenden Volke, das von Nahrungssorgen nicht
abgelenkt wurde, konnte man verlangen, daß es vom Morgen bis zum
Abend sich unablässig mit der Schrift befassen sollte.Sobald die
Hebräer in Kanaan eingewandert waren und sich dem Ackerbau ergeben
hatten, war die Befolgung dieses Gebotes unmöglich geworden. Anstatt
es aber aufzuheben, wurde es umgedeutet. Man legte das Schwergewicht
dieses Gebotes auf die Schlußworte: ,Wenn du dich niederlegest und
wenn du aufstehest. Also nicht den ganzenTag, sondern nur am Abend,
kurz vor dem Schlafengehen, und nur am Morgen, kurz nach dem
Aufstehen. Man hielt es auch nicht für erforderlich, täglich die
ganze Tora zu studieren, sondern beschränkte sich auf einige ihrer
wichtigsten Stellen. Als solche galten: Höre Israel, der Herr unser
G'tt, der Herr ist einzig. Du sollst deinen G'tt lieben von ganzer
Seele, von ganzem Herzen und von ganzem Vermögen...' 5. B. M. 6,4-9,
u. a.Verse. Das Wort ,Höre\ mit welchem die erste Stelle beginnt,
lautet in der Schrift ,Schemä'. Nach diesem Worte wird die ganze
Auslese bezeichnet. Nach einem alten jüdischen Brauche, der später
umgangen wurde, durf-
22
1. Traktat
te man die Worte der heiligen Schrift nicht auswendig hersagen,
sondern man mußte sie lesen, daher ,Keriat Schema', ,Lesen des
Schema". An diese wahrscheinlich aus der frühesten biblischen Zeit
stammende Rezitation knüpfte sich später die .Tefilla', das Abend-
und Morgengebet; das aus einer Reihe von Lobsprüchen besteht.
Unsere Mischna befaßt sich mit der Frage, innerhalb welchen
Zeitraums diese Rezitation stattzufinden hat. Mit andern Worten,
welche Zeitpunkte unter ,Und wenn du dich niederlegest und
aufstehest' gemeint sind. Die Zeitbestimmung des Keriat Schema am
Morgen behandelt sie im nächsten Kapitel. Hier sucht sie zunächst
die des Abends festzustellen. Bei dieser Frage bedient sie sich des
ungenauen Ausdrucks: von wann an liest man das Schema am Abend ?'
Genauer hätte es heißen müssen: von wann an bis wann'. Als Antwort
gibt sie das Ergebnis einer Debatte wieder, die hierüber im
Syne-drion zu Jabne unter dem Vorsitz des Rabban Gamliel
stattgefunden hat. Über die Anfangszeit waren alle einig, daß sie
mit dem Zeitpunkt zusammenfällt, zu dem die Priester, die sich in
religiösem Sinne verunreinigt hatten, nach erfolgter Reinigung
eintreten (beginnen) durften, von der heiligen Gabe zu essen, ,...
und wer irgendein Gewürm anrührt, dadurch er unrein wird... ist
unrein bis zum Abend und soll von dem Heiligen nicht essen, sondern
zuvor den Leib in Wasser baden, und wenn die Sonne untergegangen und
er rein geworden ist, so mag er davon essen'. 3 B. M. 22, 7.
Schwieriger war die Frage über die Endzeit. Hier mußte man zu einer
astronomischen Bestimmung greifen. Die Mehrheit des Synedrion, die
Cha-
Erste Ordnung
kamim', die Weisen, entschieden sich für Mitternacht. Eines der
Mitglieder hingegen setzte diesen Zeitpunkt auf das Ende der ersten
Nachtwache', der Vorsitzende des Synedrion, Rabban Gamliel, sogar
bis zum Erscheinen des Morgensterns. Unsere Mischna verweist noch
auf einen Vorfall, wonach die Söhne des Gamliel in später Nacht von
einem Gastmahl heimkehrten und auf die Frage, ob sie noch das Schema
lesen dürften, von ihrem Vater die Antwort erhielten, daß dies bis
zum Erscheinen des Morgensterns gestattet sei. Auch die Chakamim,
fügt die Mischna hinzu, seien dieser Ansicht; sie hätten aber
grundsätzlich bestimmt, daß alle religiösen Handlungen, die bis zum
Aufsteigen des Morgensterns auszuüben sind, bis Mitternacht
vollbracht sein müssen, da man sie sonst verschlafen könnte. Die
Mischna führt noch zwei solcher Fälle an: das Verbrennen der
Fettstücke und bestimmter Teile der Opfertiere, das in der dem
Schlachttage folgenden Nacht geschehen muß; ferner das Verzehren der
Opfer, das innerhalb eines Tages erfolgen muß. Bemerkenswert
ist, daß die Ansichten der Opponenten erwähnt werden, während die
Mischna sonst ihrem kodifikatorischen Charakter gemäß nur die
geltenden Entscheidungen ausdrücklich hervorhebt. Endlich fällt auch
die Erzählung auf, die von den Söhnen Gamliels eingestreut wird.
Derartige Illustrationen sind sonst in der Mischna nicht
gebräuchlich.
WORTGETREUE ÜBERSETZUNG, BL. 2a
Von welcher Zeit an liest man das Schema am Abend? Von der Zeit an,
da die Priester hineingehen,
24
1. Traktat
von ihrer heiligen Gabe zu essen, bis zum Ende der ersten
Nachtwache. Die Worte des Rabbi Elieser. Die Chakamim aber sagen:
bis Mitternacht. Rabban Gamliel sagt: bis der Morgenstern aufsteigt.
Es begab sich, daß seine Söhne vom Gastmahl kamen. Sie sprachen zu
ihm: Wir haben (noch) nicht das Schema gelesen. Er erwiderte ihnen:
,Wenn der Morgenstern noch nicht aufgestiegen ist, seid ihr
verpflichtet, zu lesen'. Und nicht dies allein haben sie gesagt,
sondern überall, wo die Weisen gesagt haben: bis Mitternacht, gilt
ihr Gebot: bis der Morgenstern aufsteigt. Das Abdampfen des Fettes
und der Glieder, ihr Gebot gilt: bis daß der Morgenstern aufsteigt.
Und alle (Opfer), die an demselben Tage verzehrt werden müssen, ihr
Gebot ist: bis daß der Morgenstern aufsteigt.Wenn dem so ist, warum
haben die Chakamim gesagt: bis Mittemacht? Um den Menschen von der
Sünde fernzuhalten.
GEMARA
SCHOLIE 1. Von welcher Stelle der Tora leitet die Mischna das Keriat
Schema ab? Warum wird der Abend dem Morgen vorausgeschickt ? Zur
Beantwortung dieser beiden Fragen verweist die Gemara auf 5. B. M.
6, 7: Wenn du dich niederlegest und wenn du aufstehest. Hieraus geht
hervor, daß man zweimal am Tage das Schema lesen muß, und daß ferner
der Tag mit dem Abend beginnt. Als zweiten Beleg für die Tatsache,
daß bei den Hebräern der Tag mit dem Abend beginnt, wird 1. B. M.
1,5 angeführt: ,Und es ward Abend und es ward Morgen, ein Tag'.
In dem nächstfolgenden Mischnastück werden die Lob-
Erste Ordnung
Sprüche behandelt, die dem Schema voraus- und nachgeschickt werden.
Bei dieser Gelegenheit ist zuerst vom Morgen und dann vom Abend die
Rede. Diesen scheinbaren Widerspruch erklärt die Gemara damit, daß
die Mischna, die vorher bereits mit dem Abend begonnen hat, nunmehr
mit dem Morgen fortfährt.
WORTGETREUE ÜBERSETZUNG, BL. 2a
Der Mischnalehrer, worauf bezieht er sich, daß er lehrt: ,von
welcher Zeit an?' Und dann, warum verändert er, indem er zuerst am
Abend' lehrt. Sollte er doch zuerst vom Morgen lehren. Der
Mischnalehrer bezieht sich auf die Schrift. Denn es ist geschrieben:
Wenn du dich niederlegest und wenn du aufstehest', und er lehrt so:
wann ist die Zeit des Keriat Schema beim Niederlegen? Von der Stunde
an, da die Priester hineingehen, von ihrer heiligen Gabe zu essen.
Und wenn du willst, sage ich: er entnimmt es aus der Schöpfung der
Welt. Denn es ist geschrieben: ,Und es ward Abend und es ward
Morgen, ein Tag'. Wenn es so ist, hätte doch das letzte (das nächste
Mischna-stück), welches lehrt: am Morgen sagt man zwei Lobsprüche
vorher und einen nachher, und am Abend sagt man zwei vorher und zwei
nachher' .zuerst mit dem Abend beginnen sollen. Der Mischnalehrer
fängt an mit dem Abendlichen, dann lehrt er das Morgendliche, da er
sich beim Morgendlichen befindet, erklärt er die Dinge des Morgens
und dann erklärt er die Dinge des Abends.
SCHOLIE 2. Wir haben bereits die im 3. B. M. 5-7 angeführte
Bestimmung kennengelernt, wonach der
26
1. Traktat
unrein gewordene Priester erst dann vom Heiligen wieder essen darf,
wenn die Sonne untergegangen ist und er sich gereinigt hat. Dieser
Satz lautet im hebräischen Texte: ,u-ba haschemesch we-taher' - ,und
die Sonne ist gekommen, und er ist rein'. Unter ,die Sonne ist
gekommen' kann man ebensogut den Anfang wie das Ende des
Sonnenunterganges verstehen. [Die Gemara bedient sich hierbei
unklarer Bezeichnungen. Sie nennt den Anfang des Sonnenunterganges
,Biat oro' - ,das Kommen seines Lichtes', und das Ende ,Biat
schimscho' - ,das Kommen seiner Sonne'. ,Seiner' bezieht sich auf
den Priester.] Ebenso zweideutig ist der Ausdruck ,wetaher' - ,und
er ist rein'. Er kann sich auf den Priester beziehen und also
besagen, daß dieser sich beim Sonnenuntergang reinigen muß. In
diesem Falle muß man unter ,die Sonne ist gekommen' den Anfang des
Sonnenunterganges verstehen. Er kann sich aber auch auf den Tag
beziehen und ,zu Ende gehen' bedeuten. So lautet eine babylonische
Redewendung: ,Die Sonne ist untergegangen und der Tag ist rein
geworden'. In diesem Falle darf der Priester von der heiligen Gabe
essen, wenn die Sonne untergegangen ist, gleichviel ob er die zur
Sühnung vorgeschriebene Waschung vorgenommen hat oder nicht. Unter
,und die Sonne ist untergegangen' muß dann das Ende des
Sonnenunterganges verstanden werden. Die Gemara hält die letztere
Deutung für richtiger, weil es sonst ,wa-jithar' - ,und er soll
gereinigt sein', und nicht ,we-taher' (Perfectum) hätte heißen
müssen. Während es beim Sonnenuntergang bezüglich des Priesters
nicht zweifelfrei ist, ob es sich um den Anfang oder das Ende
handelt, ist
Die
Torah (Fünfbuch = Pentateuch) besteht aus
den 5 Mosebüchern, die in der hebräischen Bibel jeweils nach einem
der ersten Worte des jeweiligen Buches heißen:
beReschith (im Anfang),
Schemoth
(die Namen),
vajikra
(Er rief),
baMidbar (in der Wüste) sowie
Dewarim (Reden).
Siehe auch
../judenmission/judenmission/bibel.htm.
In 12 Bänden:
Der Babylonische Talmud
Übersicht: Talmud
Zum Inhaltsverzeichnis:
Judentum / Jahaduth
Nachrichten:
Jüdische Religion aktuell
hagalil.com
02-02-2005 |